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Haller’s Leben in Zeitepochen

Vorfahren    Kindheit    Schulzeit    Verlust des rechten Auges    Studienzeit    Der Villa Romana Preis    Die Vorkriegszeit    Die Kriegszeit und Erika Streit    Die Bombardierung Dresdens und die Rettung vor der Exekution    Die Flucht nach Ludwag in Bayern    Kitzingen    Schloss Weissenstein    Liah Falkenberg    Norddeutschland    Haller’s Werk in Australien   

Die Vorkriegszeit

Als ich nach aufregendem Florenzbesuch nach Deutschland mit seinen Strassenkämpfen zurückkehrte – ich wurde dauernd wegen meines Einglasses angepöpelt – war es so ungefähr das erste, das mir widerfuhr: ich habe mir in meinem (Atelier) auf Rattenjagd die rechte Hand angeschossen. Das Geschoss ist übrigens jetzt noch zu sehen, es ist an die Oberfläche gewandert; die Ärzte haben es trotz Röntgenbild nicht orten können. Beinahe hätte ich ein Handbodenphlegmon bekommen. Dann wäre die Künstlerpfote ab gewesen. Von der Klinik bin ich dann nicht wieder zu meinem Vater zurückgekehrt.

Bereits 1931 hatte sich Ludwig Haller mit seiner späteren Frau Liane verlobt und bei Ihr gewohnt.

Liane war meine Jugendgespielin seit meinem sechsten Jahr in 1910. Die Villengrundstücke unserer Väter lagen unweit voneinander. Liane war drei Jahre älter als ich. Sie hat mich 1931 in ihrem Architektenatelier aufgenommen, denn mein Vater hatte wieder geheiratet und wir wollten nichts mehr voneinander wissen. Er hatte meine Mutter schon 1915 verlassen. Sie ist 1921 gestorben. So lange war ich bei ihr und bin dann zu meinem Vater gekommen.

Als Haller Ende 1932 oder Anfang 1933 aus Florenz nach Deutschland zurück kam, um die angebotenen Professuren anzutreten, hatte sich in der Zwischenzeit die politische Landschaft in Deutschland verändert. Es ist unklar, ob Haller die ihm angebotenen Professuren je angetreten hat oder ob diese ihm nach kurzer Übernahme aberkannt wurden. Fest steht, dass seine Werke als „entartete Kunst“ eingestuft wurden und er unter den entsprechenden Einschränkungen und Verboten ebenso litt, wie viele andere der modern orientierten Künstler.

Anfang 1933: Nichts galt mehr! Als die Nazis kamen, zeigte ein Grossteil der Künstler ihr wahres Gesicht als Kleinbürger. Ich hatte schon damals die Ansicht, dass das Arm zum deutschen Gruss zu heben das eigentliche künstlerische Niveau dieser Leute widerspiegelte und dass man ihnen Opportunisten zu sein zu Unrecht nachsagte.

In Dresden haben wir unter den Augen der Gestapo gefährlich gelebt. Ich konnte aus vielen Gründen nur unregelmässig, dennoch viel malen. Seit ich nicht in der „Reichskammer für bildende Künstler“ war, bekam ich beim Händler keine Farben. Wir mussten sie für teueres Geld schwarz kaufen. Manchmal brachten mir auch Kollegen heimlich ihr Kontigent. Für die Gestapo hatte ich ein grösseres Temperabild aufgestellt: Kavallerie.

Einmal wäre ich beinahe erwischt worden. Ich hatte jemandem gegenüber geäussert, ich wolle eine Kreuzigung malen, und zwar so wie es die alten Meister immer gemacht haben, mit zeitgenössischer Besetzung, also mit deutschen Polizisten und S.A. und der Gauleiter zu Pferde statt der römischen Legionäre. Nach Wochen war die Gestapo da und wollten meine "Kreuzigung“ sehen. Ich hatte sie aber nicht – noch nicht gemalt.


Am 30.10.1933 heiratete Ludwig Haller in Pirna seine Jugendgespielin Auguste Louise Hänel, geborene Wulff-Blumenthal (geb 06.09.1900, gest 18.01.1979). Sie wurde allgemein mit „Liane“ angesprochen. Ihre Eltern waren Richard und Margarete Hänel. Die Eltern hatten eine Lederfabrik in Dresden.

Meine Jugendgespielin hat mich in ihr Atelier aufgenommen. Wir haben dann zusammengelebt und sind, als der neue Staat kam, und ich abgehalftert wurde, aufs Land gezogen – in ein Wochenendhaus. (Pirna, Niedervogelgesang 10)

Haller mit seinem Hund „Altai“ im Niedervogelgesang, Pirna

Haller mit seinem Hund „Altai“ im Niedervogelgesang, Pirna

Mein bester Kamerad, den ich je hatte, war meine grosse Dogge “Altai” – Schulterstockmass 0,94 m, den mir meine Frau als Osterhasen 1933 schenkte. Er war wunderschön und sehr gutartig und der geborene Beschützer. Als ich einmal 1 ½ Tage verreist war und ich meine Frau im Landhaus bis morgens 5 Uhr alleine lassen musste, hat er sich mit seinen 160 Pfund quer über meine Frau gelegt, um bei jedem Geräusch bedrohlich zu knurren. Als er mich dann kommen hörte, ist er aufgestanden und in Sekunden schnelle hat er schon geschnarcht als ich eintrat. Meine Frau und er waren gleichermassen völlig erschöpft. Sie hat die Situation nie vergessen, und er hatte es doch so gut gemeint.

Dort (in Pirna) haben wir ja auch geheiratet und sind 1936 wieder in die Stadt (Dresden) gezogen. Dort haben wir ein Wohnatelier gemietet (im Künstlerhaus) und Liane ist weiterhin „in die Fabrik“ zu ihrem Vater gegangen. Dort, weil sie in der Fabrik alles da hatten, hat sie mir auch grosse Teile meiner Arbeit getippt und von Zeichnungen Sichtpausen gemacht.

Die Fabrik hat Liane dann im Krieg – ich glaube 1941 – allein übernommen. Im Grunde nur formal, denn die Fabrikarbeit ruhte, weil der Vater abgelehnt hatte, für die Nazis zu arbeiten (Koppel, Sättel, Patronentaschen, Pistolenfutterale usw). Liane hatte sich dann auf eines der Geschäfte zurückgezogen – und da ist ihr etwas Eigenartiges passiert. Sie lernte dort einen undurchsichtigen Geschäftsmann kennen, der Lederwaren (die es darnach nicht mehr gab) für teueres Geld, dazu alten Schmuck in Wagenladungen anbot. Aber dauernd kamen von der Eisenbahn (!) ganze Güterwagen an Lianes Adresse gerichtet. Der Zoll war dauernd hinter Liane her, auch die Gestapo. Aber nichts geschah ernsthaft. Der Geschäftsmann telefonierte nach Berlin und alles war in Butter. Wie von Geisterhand wurden alle Schwierigkeiten weggewischt. Es war absolut rätselhaft. Erst zeitlich 10 Jahre später in Kitzingen entnahmen wir dem Spiegel einen Bericht. Da wurde ausgeführt wie im Kriege in den besetzten Ostländern die SS (!) Fabriken an sich gerissen hatte und auf eigene Rechnung die Fabriken und Firmen für sich weiterlaufen liess. Wir vermuteten dann, dass dieser dunkle Geschäftsmann zu diesen Leuten gehörte.


Wann genau Haller im Künstlerhaus (Pillnitzer Landstrasse 59, Dresden-Loschwitz) ein Wohnatelier bezog, ist nicht nachvollziehbar. 1937 lebte er aber schon dort im Atelier „M“ und zahlte im Jahr 460 Mark. Es wurden reguläre Mietverträge mit dem Besitzer und Architekten Martin Pietzsch geschlossen, auf deren Einhaltung er wegen der hohen Schulden nach dem Bau auch bestehen mußte; seine Mahnbriefe waren gefürchtet. Haller scheint regelmäßig gezahlt zu haben; es gibt jedenfalls keine "Mietzahlung in Bildern" von ihm.

Postkarte 1938-12-02

Einhundertzehn Jahre Künstlerhaus Dresden

Mietzahlungen ab 1.April 1937

Künstlerhaus 1953

Haller findet in den persönlichen Erinnerungen von Martin Pietzsch kurz Erwähnung:

„Nach der Schreckensnacht vom 13. – 14. Februar 1945 verließ er samt der Gattin – die Dogge war vorher erschossen worden – alles unverschlossen stehen und liegen lassend das Atelier.“

Dem Erwähnen des Erschießens der Dogge steht die Aussage der Appolonia Reinlein entgegen, welche davon berichtete, daß sie als Kind Angst vor "dem Mann mit dem schwarzen Auge" und seinem großen Hund hatte, der kurz vor dem Kriegsende als Flüchtling nach Ludwag kam.

Es ist nicht bekannt, was mit den Werken passiert ist. Das Künstlerhaus ist ja weder beschädigt worden noch abgebrannt.

Ludwig Haller’s Vater trennte sich von dessen Mutter im Jahre 1915. Spätestens nach dem Selbsttod der Mutter 1921 lebte Ludwig Haller bei seinem Vater in der Marschallee 26 (heute Händelallee), Blasewitz, einem Ortsteil von Dresden.

Ludwig Haller mit seinem Vater

Haller’s Vater heiratete zu unbekanntem Datum eine jüngere Frau, mit welcher Ludwig Haller wohl kein gutes Verhältnis hatte. Das Schreiben des Dr med Günther Kamprath vom 23.12.1938 spricht hierüber Bände.

Brief von Dr. Kamprath an Haller 1938-12-23

Leibnitz d. 23.12.38

Lieber Ludwig!

Gerne komme ich Deiner Bitte nach, Dir das mitzuteilen, was ich noch über die üble Szene zwischen Dir, Deinem Vater und Deiner Stiefmutter weiß. Sie steht noch heute so deutlich vor mir, als wäre es erst gestern vor Kurzem gewesen, u. ich kann mich noch an jede Einzelheit erinnern: ich kam wie üblich zu Euch auf die Marschallee, um mit Dir organische Chemie zu treiben. Du sagtest mir beim Eintritt, es herrsche Sturm, weil Du bei einem Kaufmann hattest Zigaretten anschreiben lassen. Tatsächlich sah ich dann Deine Stiefmutter escaliert u. rufend durch die Wohnung jagen u. hörte dabei die Rufe: “Du bist der ganze Sohn Deiner gemeinen Mutter” – “Schade daß sie Dich Zuchthäusler nicht besser getroffen hat.” – sie wollte Dir ins Gesicht springen, riß dann in ihrer maßlosen Wut ein Tischtuch entzwei u. schrie: “Du Lump, Du Zuchthäusler, den Kerl vergifte ich noch.”. Dieser fast an Tobsucht erinnernde Wutanfall dauerte ca 2 Stunden. Vergebens suchte Dein Vater sie zu beruhigen, war aber völlig hilflos. Meinen Vorschlag, die Polizei anzurufen u. die Frau wegbringen zu lassen, billigte er sofort, doch batest Du noch zu warten. Da die Frau immer escalierter herum schrie u. bösartiger wurde (sie wollte auf Dich losgehen), riß Dein Vater eine Reitpeitsche von der Wand, gab sie Dir und rief wütend: “Hier, hau zu!” Bei diesen Worten habe ich Eure Wohnung verlassen u. bin seitdem nicht wieder zu Euch gekommen. Für mich stand damals schon fest, daß Dein Vater der Frau hörig war u. keinen eigenen Willen mehr hatte; außerdem litt er schon damals, wie er mir selbst einmal sagte, an einer beginnenden Arteriosclerose.

Mit bestem Gruss

Dein E Kamprath

Mein Vater ist 1938 gestorben. 1940 traf ich einen alten Herrn, einen seiner Kollegen zufällig: “Ich lese die Gutachten von Ihrem Alten immer wieder gern, sie sind einfach klassisch – 1916 begegneten wir uns im Schützengraben an der Somme; da erzählte er mir bei schwerem Artilleriebeschuß “mein Junge hat ein Tropfenherz”. Bislang wußte ich das gar nicht.

Nach dem Tod von Haller’s Vater kam es offenbar zu einem gerichtlichen Erbschaftsstreit mit Haller’s Stiefmutter, denn es gibt schriftliche Aussagen, welche offenbar dem Gericht vorgelegt wurden oder vorgelegt werden sollten.

1938 02 18 Schreiben Anwalt an Haller

1938 02 25 Schreiben Anwalt an Haller

1938 03 02 Schreiben Anwalt an Haller

1938 04 13 Schaetzung Haller Haus.jpg

1939-01-20 Schreiben Max Feldbauer.jpg

1939-01-20 Schreiben Max Feldbauer2.jpg