„Ich, Karl Adolf Max Ludwig Haller, wurde 10. Februar 1904 in Radebeul geboren. Ich bin das einzige Kind meiner Eltern. Mein Vater war Arzt,
meine Mutter preussische Offizierstochter. Meine Mutter bekam mich mit 46 Jahren. Ein Jahr zuvor hatte sie ein Mädchen geboren, das nur 1 Tag
alt wurde. Auch ich sollte wohl nur 24 Stunden leben. Ich bekam einen Stimmritzenkrampf. Mein Vater hat mich ins Leben zurück geholt. Er hat mich
an Schultern und Kopf haltend durch die Luft zwischen seinen Beinen hindurch geschwenkt bis ich wieder brüllen konnte.“
Ludwig Haller und sein Vater 21. Juni 1904
Ludwig Haller 10. November 1905
"Meine Mutter hat den Tod ihres ersten Kindes wohl nie ganz verschmerzt und wahrscheinlich hat dies den Wunsch geweckt, eine Schwester zu haben,
und liess mir mein Haar lang wachsen. Ich hatte bis auf den Rücken fallende “gold blonde” Locken bis zu meinem 4. Lebensjahr. Nach meinem
Geburtstag gingen wir zum Friseur damit “der Junge”, wie mein Vater sagte, endlich eine “anständige Frisur” bekam. Als ich auf den Friseurstuhl
gehoben wurde, blickte ich dem Friseur, den ich heute vor Augen habe und den ich malen könnte, gross an, sagte energetisch: “aber bitte verhunzen
Sie mich nicht”.
Das vierte Lebensjahr war anscheinend sehr wichtig, weil die weibischen Locken (Ausdruck meines Vaters) gefallen waren. Also folgendes als Beispiel
meiner unkonventionellen Erziehung. Meine Eltern hatten grosse Gesellschaft – im Parterre waren die Gäste, im 1. Stock war ich mit den Kindermädchen.
Ich hatte es abgelehnt “Guten Tag” zu sagen – und das hatte auch seinen Grund: die Damen hatten es sich angewöhnt zu prüfen, wie ich angezogen war
und fuhren mir mit der Hand dieserhalb in den Halsauschnitt meiner Matrosenbluse (genannt Kieler Anzug). Das war eine weibliche Perversion
und ausserdem kitzelte mich das alberne Getue. Man hatte mir aber versprochen, ich bekäme ein Stück Tohite (Ausspruch meiner Mutter – sollte
Torte heissen). Ich hab gewartet wie nur ein Kind warten kann. Schliesslich, als die Leute schon im Vestibül zum Weggehen sich anschickten,
kam das Hausmädchen und liess mir von der Köchin ausrichten, es sei leider nur noch ein Pfannkuchen da. Das hat mich so erbost, dass ich den
Pfannkuchen (gefüllt mit Himbeersaft) nahm, die Treppe hinunterfeuerte mitten in die Leute und brüllte: “Den Einen könnt Ihr doch ooch noch
fressen.” Ich kann mich noch genau daran erinnern.
Im Sommer 1907 waren wir in Ahlbeck – Ostsee, 1908 – 1912 mit Dienstpersonal auf Borkum. Ich habe ja noch das Skizzenbuch (siehe: Kinderzeichnungen
1908).
Zu dem Eselchen, meinem Freund Moor – ich kann mich genau entsinnen, wie ich am Strande den Moor zeichnete. Es hatte sich ein breiter Ring
von Erwachsenen um uns gebildet, die nur erstaunt zusahen. „Seltene Begabung“ und anderes war zu hören. Der Eselsführer war der spindeldürre alte
Wegemann. Er sagte, was ein Häkchen wird, krümmt sich bei Zeiten. Komisch, dass ich das nie vergessen habe.“