Ludwig Haller erscheint nicht in der offiziellen Liste der Stipendiaten der Villa Romana. Dies hat wohl damit zu tun, dass er statt einem vollen nur ca
ein halbes Jahr dort verweilte. Dass er dennoch den Villa Romana Preis erhalten hatte und tatsächlich in der Villa lebte und wirkte, geht nicht nur
aus seinen Memoiren, sondern auch aus anderen Dokumenten und Aussagen hervor.
So ist er im Ausstellungskatalog des Deutschen Künstlerbundes 1932 mit Ort Florenz aufgeführt.
Nachfolgend widergegeben sind zwei Briefe an Prof Albiker, in welchen Haller seine prekäre Lage in der Villa Romana beschreibt.
Schreiben von Edwin Scharff an Albiker:
Lieber Albiker!
Ich möchte Dich nochmals an die
Sizung Villa Romana erinnern, falls
Du kommen willst – Du kannst bei
uns wohnen wenn es Dir recht ist.
Zu besprechen gäbe es allerhand – hier
ist an allen Ecken (in Kunstdingen) der
Teufel los. Auch in Deutschland wird man
ja davon hören.
Ein weiteres Schreiben von Scharff an Albiker, datiert 29. Dezember 1932
Lieber Albiker!
Heute bekam ich den beiliegenden Brief, ich möchte
Dich bitten das Ersatzpreisxxxxxx auch in der Hauer
Angelegenheit in den beiden Denkmalswettbewerbe
anzunehmen. Du kommst doch zur Sitzung der
Villa Romana nach Berlin, es wird wichtig sein
Ich hoffe auch xxx des Künstlers xxx
Mit Dir zu besprechen. Xxx xxx
Sie hatten zu allem auch Sorgen und Krankheit im Haus
Mit herzlichen Grüssen
Bitte geb mir Bescheid
Haller’s Erinnerungen an seine Zeit in Florenz, 48 Jahre später, sind jedoch von ganz anderen Themen geprägt als die Zustände in der Villa.
„Der Deutsche Künstlerbund verlieh den Villa Romana Preis - ein Stipendium / Aufenthalt in der ehemaligen Villa von Max Klinger in Florenz, Via Senese
Trenta Due (32) Fuere Porta Romana (ausserhalb der Porta Romana). Preisverleihungen, zumal in der Kunst, sind immer Zufall und besagen überhaupt nichts.
Zu meinem Ärger wurde gerade ich ausgesucht. Hinzu kam: mein Vorgänger hatte die Italiener sehr beleidigt. Er hatte Michelangelo für “Dreck” erklärt.
Und dann war noch etwas passiert. Auf der Biennale von Venedig hatte Max Beckmann sein “Strandbild” ausgestellt. Das Bild war, wie bei Deutschen so
oft ordinär. (Ein Mann im Badeanzug griff einer Badenden zwischen die Beine). Darauf ein wüster Protest in der italienischen Presse. Wieder einmal
waren die Boches daneben gelatscht. Ich sollte also nebenher “gute Figur” für das Deutschtum im Ausland machen.
“Officiale Tedesco Elegante” Deutscher eleganter Offizier war in Florenz mein Spitzname, Ich wurde allgemein gelobt und der deutsche Konsul in Florenz
(Stiller), dem die Villa Romana unterstand, blies mich über den grünen Klee. Man wollte mich von Florenz partout nicht fortlassen, auch von Seiten
der Damen nicht. Ich war bei Familien mit stinkreichen Töchtern als Mitgift in Fiesole dauernd eingeladen u.s.w.
Ich hatte äusserst viele Dinge zu erledigen. So musste ich versuchen, die Michelangelo-Geschichte wieder gutzumachen. Dann musste ich mich dem in der
Villa Romana lebenden Verwalter konterieren, was sehr schwierig war. Der Verwalter war unglücklicherweise der Vorsitzende der Florentiner Ortsgruppe
der NSDAP. Ausserdem war er Deutscher Fliegeroffizier gewesen, den man seines Lungenleidens wegen diesen Verwalterposten gegeben hatte. Das Schwierige
war nur: der Villa Romana Verein (Berlin) wurde zu 90 % von begünstigten jüdischen Geschäftsleuten getragen. Und der Verwalter war naturgemäss
glühender Antisemit. Der Verwalter und ich, wir machten uns zueinander zackige Besuche und Gegenbesuche (was mein Vorgänger ebenfalls versäumt hatte).
Dann hatte ich nächtelang auf der Terrasse mit dem ganzen Verein zu saufen. Und natürlich sollte ich in die Partei eintreten. “Ja, wenn alle wären
wie Sie, solche Leute brauchen wir”. Es war ein Kunststück, dass ich sowohl von dem Konsul als auch von dem Verwalter, dem Feind des Konsuls, nach
Berlin in die Zentrale mit Lobeshymnen bedeckt wurde. Der Konsul plädierte dafür, ich solle die Stelle des Verwalters übernehmen.
Dann war da das Deutsche Kunstwissenschaftliche Institut von Florenz, das sich mit dem Verwalter wie mit dem Konsul wie aber auch untereinander in den
Haaren lag. Von allen Parteien wurde ich eingeladen.
Eines schönen Tages stand frühmorgens eine Freundin aus der Heimat an meinem Bett. Sie war Preisträgerin am Florentiner deutschen Kunstwissenschaftlichen
Institut. Sie war Jüdin. Man stelle sich vor: damals war die Villa Romana die Hochburg der Nazis und nun das! Ich habe alle Probleme gemeistert. Es
gehörte viel dazu, allen Seiten gerecht zu werden. Ausserdem: ich war bei sehr reichen jüdischen Familien oftmals eingeladen zwecks Heirat eines der
beiden sehr hübschen Töchtern. Ich sollte mit ihnen ausreiten, aber ich hatte keine Reitsachen mit. Die Mutter der beiden Mädchen war Amerikanerin.
Das wäre eine Partie geworden! Aber ich war mit Liane schon verlobt.
Die zweite angekündigte Schwierigkeit war das Beckmann Problem der Biennale. Ehe ich nach Florenz fuhr, wurde ich ins Auswärtige Amt nach Berlin gebeten.
Ich hatte Prof Edwin Scharff aufzusuchen. Von ihm wurde ich ins Auswärtige Amt geschickt. Ich wurde mehreren älteren Herren vorgestellt und von ihnen
begutachtet und sodann für würdig befunden, ein Staatsanliegen zu erfahren. Unter verlegenem Räuspern wurde mir ein “ehrenvoller” Auftrag zuteil
(der Auftrag war noch viel ehrenvoller als mein Meisterwurf auf das Eichhörnchen).
Mussolini, so wurde mir mitgeteilt (hinter der hohlen Hand) hatte eine Maîtresse – die bekannte Sarfatti – eine quicklebendige und gescheite Jüdin.
Sie bewohnte einen Palazzo. Diese Dame sollte ich von Florenz aus in Rom besuchen, um sie zu bitten, bei Mussolini vorstellig zu werden, darauf hin zu
wirken, die journalistische Hetzkampagne gegen Deutschland zu unterbinden. Sie war klein und zierlich und sehr reizvoll. Signore Haller hat auch
dieses Problem gelöst. Damals war ich beinahe ordensreif. Ich bin nochmal davon gekommen. Damals sprach ich noch recht gut französisch, heute fast
restlos vergessen. Wenn ich nicht irre, war die Sarfatti auch mit einer Freundin Picassos befreundet.
Geheimrat Ludwig von Hofmann (Maler) hatte eine Villa in Fiesole. Ich glaube er war damals schon nicht mehr Lehrer der Akademie. Wohl gerade deswegen hatte
er einen inoffiziösen Auftrag übernommen. Er kam von Fiesole extra durch ganz Florenz nach der Villa Romana herüber, um mir wärmstens ans Herz zu legen,
eine Akademieprofessur anzunehmen. Der Konsul von Florenz wollte mich, wie schon gesagt, für die “Villa” behalten (Feste Besoldung mit Atelierwohnung).
Der Bildhauer Emil Albiker hatte mich zum Studium generale für Aktzeichnen an die T.H. Dresden empfohlen.
Ich war schätzungsweise nur fünf bis sechs Monate in der “Villa”.“