Homepage
Biografie
Das Werk
Habilitations- schrift
Ausstellungen
Haller‘s Ausführungen zu Kunst und anderen Künstlern
Meinungen und Kritiken zu Haller
Ontoeidetik
Videos und Tonbandauf- zeichnungen
Bücher in Haller‘s Bibliothek

Haller’s Leben in Zeitepochen

Vorfahren    Kindheit    Schulzeit    Verlust des rechten Auges    Studienzeit    Der Villa Romana Preis    Die Vorkriegszeit    Die Kriegszeit und Erika Streit    Die Bombardierung Dresdens und die Rettung vor der Exekution    Die Flucht nach Ludwag in Bayern    Kitzingen    Schloss Weissenstein    Liah Falkenberg    Norddeutschland    Haller’s Werk in Australien   

Studienzeit

1958-02-24 Schreiben Hochschule für Bildende Künste Dresden an Haller

„Ich kam ausser der Reihe auf die Akademie für bildende Künste in Dresden. Mitten im Semester zu Michaelis 1924 wurde ich von Max Feldbauer aufgenommen. Ich blieb an der Akademie bis 1932.

An der Akademie machte ich auch die Erfahrung, dass die Studierenden erstaunlich niedriger durchschnittlich waren – und die Lehrer im Grund auch – bis auf 2 Ausnahmen – was die Lehrer betrifft: mein Lehrer, der Pferde malen konnte, und der Anatom mit seinen meisterhaften Vorstellungen. Es ist schade, dass es damals noch kein Fernsehen gab. Allein schon die Zeichnungen mit bunter Kreide an den Wandtafeln waren echte Kunstwerke, die achtlos naturgemäss nach jeder Stunde abgewischt werden mussten.

Die Zeichenschule von mindest 2 Semestern brauchte ich nicht zu besuchen und konnte gleich in die Malschule eintreten – etwa 20 Studierende. Ich hatte noch nie einen Pinsel in der Hand gehabt und hielt die Palette falsch herum mit dem Daumenloch nach aussen. Wir erhielten keinen theoretischen Unterricht über Farblehre, es wurde einfach sofort Akt gemalt, der in einer dunklen Ecke hinter einem die Szene noch mehr verdunkelnden Vorhang stand. Das Modell hiess Frieda.

Fast alle Modelle hatten durch das lange Stehen blauviolette Beine. In der alljährlich zu Ostern stattfindenden Akademieausstellung waren dann auch nur blauviolette oder violet-rot gemalte Beine zu sehen - je nach Temperament des Künstlers.

Mittwochs stand nachmittags stets ein von der Reichswache gestelltes Pferd im Akademiehof bereit. Das Pferd hiess Liebling. Es war eine weisse Schimmelsstute. Und mit Liebling began meine Problematik in der Malerei. Liebling, von einem Soldaten gehalten, stand im Schatten bzw Halbschatten des Hofroundells und hatte die für mein Malerauge sonderbar scheinende Eigenart, sich wie ein Chamäleon zu benehmen. An sich erschien sie in der Gesamtfarbe im Halbschatten unter blauem Himmel als blaugraues Weiss. Mein Drama begann. Wenn ich nämlich auf meinem Bild ein Bläulich mischte und wieder auf Liebling hinblickte, hatte sich das Tier verändert: es war plötzlich rosa. Malte ich jetzt rosa, wurde es von allein grün. Malte ich dann grün, wurde das liebe Tier violet. Es wurde so schlimm, dass ich gleich am Anfang meinen Beruf wieder abgeben wollte.

Das Seltsamste war nun aber: Niemand von den etwa 2 Dutzend Studikern war so farbempfindlich, das offensichtliche Dilemma zu bemerken. Niemand brauchte sich daher auch Gedanken zu machen. Und mein Lehrer (Max Feldbauer) wusste auch keinen Rat. Bis ich mich schliesslich mit einem Studierenden
(Hans Grundig?) unterhielt, den ich aber auch erst darauf einfühlsam machen musste. Wir berieten uns, machten Versuche und erfanden schliesslich überflüssigerweise das Gesetz der Komplimentärfarben. Das gab nun grosses Aufsehen in der Akademie.

In der Akademie Bibliothek fanden wir dann auch ein typischerweise ungelesenes Buch von Signac: „L’Eugene Delacroix au Neoimpressionisme“. Doch Signac hatte mit seinem Kollegen Senrat das Problem auf pointillintische Weise gelöst. Wie ungebildet doch die Maler sind! Die Folge war danach, dass wir 2 Professoren
(Max Feldbauer und Otto Dix) der Akademie fast täglich Malunterricht bezüglich der Komplimentärfarben gaben! Es gab sogar deshalb einen Skandal.

Als ich nach 1950, 24 Jahre später die ersten Braques und Picassos im Original sehen konnte, stellte ich fest, dass sie längst, 20 Jahre zeitiger, nach dem selben Prinzip gemalt hatten. Deren Grundfarbe war ebenfalls das farbneutrale Schwarz-Weiss. Im Druck kommen die Farben immer flasch – auch heute noch: die optisch entstehende Farbe wird von den Druckern immer mitgedruckt. Beinahe wäre ich gleich zu Beginn meines Studiums an Liebling gescheitert. Es war eine wirklich schwere Nervenkrise, die ich monatelang durchgemacht habe! In meiner Ontoeidetik habe ich die dramatische Periode mit der Farbe nicht einmal erwähnt.

Weil ich zeichnerisch begabt war, habe ich ausgerechnet mit meiner viel wichtigeren Formproblematik eigentlich zu spät angefangen – wenigstens nicht zu spät. Es ist mir unbegreiflich, wie es möglich ist, dass im Laufe der Zeiten tausende von Bildhauern und Maler an den Problemen der Kunst stumpfsinnig vorbeigelaufen sind. Allein in Paris z.B. leben stets etwa 60 000 Künstler, in Deutschland wohl etwas genau so viel – jedes Jahr wird von den Akademien Menschen-Material produziert. Wie ist es nur möglich, dass es nicht einmal nur einen hellen Kopf gibt? Einen Menschen, der das Gerustel nicht mitzumachen gewillt ist.

Mein Lehrer
(Max Feldbauer) hatte ausser seinem grossen Professorenatelier noch ein kleines Atelier, Nummer 60a. Schon bevor die Farbtheorie feststand, bat ich ihn darum, mir den Raum abzutreten. Wortlos gab er mir den Schlüssel. Dort konnte ich nun in Ruhe und Abgeschiedenheit experimentieren. Als dann der Kollege noch auf Grund der Farbüberlegungen mit hinzu kam, haben wir beide zusammen eine schöne Arbeitszeit erlebt. Es ist sehr bedauerlich, dass auf Grund seiner privaten Anlage eine Trennung notwenig wurde. Er ist genau dort stehengeblieben, wo wir uns auf eigene Füsse stellten.

Es ist unklar, um welchen „Kollegen" es sich hier handelt. Es könnte Hans Grundig oder auch Hans Kinder gewesen sein. Für Hans Grundig spricht dessen Hinwendung zum Kommunismus als „private Anlage". Für Hans Kinder spricht ein Schreiben von Kinder an Haller vom 13. April 1927, wo er schreibt: Lieber Ludwig, dieser Brief ist mein Abschied von Dir...Hans Kinder teilten sich zeitweise ein Atelier und beide waren Einzelschüler von Max Feldbauer. Andererseits gibt es wiederholte Hinweise in der Literatur und auch in Form gegenseitiger Briefe, dass Haller und Kinder zumindest später eine enge Freundschaft verband.

Bald bekamen wir dann ein sogenanntes Meisterschüleratelier mit Modellgeld hinzu. Von da habe ich dann meinen Formproblematiken nachgehen können. Ich habe dann jahrelang nur noch Aktmodelle gezeichnet. Es war eine sehr schwere Zeit. Alle Energie, die ich auf der Schule “sparte”, habe ich jetzt für das Aktzeichnen eingesetzt. Den griechischen Spruch „Vor die Tugend haben die Götter den Schweiss gesetzt“, habe ich buchstäblich befolgt. Ich war so schweisstriefend, dass sich meine Berufsmodelle, die doch vom Staat Modellgeld bekamen, sich weigerten, sich den Modellzettel von mir ausschreiben zu lassen, da sie sahen, wie sehr ich mich ohne Erfolg abquälte, dass ich öfters keinen Strich nach stundenlangem Abmühen zustande gebracht hatte.

Ludwig Haller an der Kunstakademie Dresden

Ludwig Haller an der Kunstakademie Dresden



Ludwig Haller mit Hans Kinder und einem anderen Studenten

Ludwig Haller mit Hans Kinder und Erich Fraass



1928-05-03 Auszug aus einem Brief von Otto Dix


Es hatte lange Zeit gedauert, bis ich für das Aktzeichnen das System der Ellipse auf den menschlichen Körper einigermassen zur Anwendung bringen konnte. Es gehört sehr viel realistische Sehbegabung – sozusagen überschüssiges Zeichentalent hinzu, über ein ausgedachtes System nicht die “natürliche” Auffassung, das Natürliche Charakteristische eines Sugets zu verlieren.

Kinderzeichnungen habe ich nie gemacht. “Kindlich” war nur meine Handschrift. Die zwei noch erhaltenen Skizzenbücher zeigen die verblüffende Diskrepanz zwischen der von der Natur herkommenden Sehbegabung und einer auferlernten Schrift. Ich bezweifle, dass die Graphtologen diesen Unterschied berücksichtigen und sei es aus Mangel an vorliegenden Beispielen.

Auf der Akademie habe ich meinem Bildhauerkollegen eine Zeit lang Modell als “Boxer” gestanden. Ich trieb damals in einem Institut das ganz systematisch, was wir heute Bodybuilding nennen. Die Muskulatur nimmt durchschnittlich bei sorgfältigem Training im Monat 1 ½ bis 2 cm zu. Ich hatte eine typische Boxerfigur – nur sehr schmale Hand und Fussgelenke. Seitdem ich mit dem Training abrupt aufhörte, hat sich meine Muskulatur in geradezu beschämender Weise zurückgebildet. Muskulatur ist in erheblichem Masse reine Fleissarbeit – gute Bewegungen haben, ist pure Anlage.

Feldbauer erzählte mir, er hätte stets Fotos als Vorlage. Übrigens: noch um die Jahrhundertwende wurde nur Pferdemalen als gesellschaftsfähig anerkannt.

Vor 1933 habe ich im “Deutschen Künstlerbund “ ausgestellt, in der Nazizeit war ich verboten. Der Deutsche Künstlerbund war künstlerisch die Spitzenorganisation. Zu ihm waren sämtliche Koryphäen mit entsprechend hohem künstlerischen Niveau vertreten, Z.B. die “Brücke” mit E.L.Kirchner und Schmidt Rotluff, ebenso der “Blaue Reiter” mit Franz Marc u.s.w., das “Bauhaus” mit Paul Klee u.s.w. Carl Hofer, Max Beckmann, die Bildhauer Barlach, Edwin Scharff, Karl Albiker u.s.w. Eine Einladung zur Ausstellung im D.K.B. zu bekommen, war eine grosse Anerkennung, die keinesfalls allen Professoren zu Teil wurde. Ich habe als junger Kunststudent zwischen meinem 24. bis zu meinem 28. Lebensjahr viermal hintereinander ausgestellt.“


Studienzeit in Paris während der Semesterferien und im Wintersemester 1928/29

„Charlston tanzen hatte ich augenblicklich gelernt. Ich kam mit Freunden von der großartigen Josefine Baker und tanzte vor dem Café du Dôme sofort und brühwarm den perfekten Charleston vor.

Ludwig Haller tanzt Charleston in Paris, 1926

Ludwig Haller tanzt Charleston in Paris, 1926

Darauf einige junge Franzosen: Vous dansez très bien, monsieur. De quel pays êtes vous? Moi, je suis Allemand. – Voilà un Allemand, voilà un boche vast’en allez vous en. Das Publikum des ganzen Café sprang entsetzt auf und ich, noch im Schwung aus dem Tanz heraus, versetzte dem einen einen Kinnhaken. Er fiel rückwärts auf einen der runden Tische des Cafes, der nach vorn kippte und ich sehe ihn noch wie er langsam und ganz bedächtig herunterrutscht und natürlich Kaffeetasssen mit sich nahm. Der Schutzmann mit seinen weissen Stöckchen kam von der Kreuzung Boulevard Raspail – Boulevard Montparnasse herbei. Es war ein grossartiges Theater. Das Publikum war auf meiner Seite. Das war im Sommer 1926. Was die Kunst angeht, ich hatte lediglich gesehen, dass etwas mit den Deutschen nicht stimmte. Aber was? Ich habe mir dann vorgenommen, selbst auf die Suche zu gehen. Ich habe mich für meinen Schullehrer nicht interessiert - für meinen Kunstlehrer von da ab noch viel weniger. Jetzt habe ich schweisstriefend gearbeitet, jetzt ging es mir um die Wurst.“