„Nach dem Krieg hatten wir alle Reise- bzw Ausgehverbot. Trotzdem wurde Liane energisch und wir fuhren los. Wir erwischten ein Milchauto und
setzten uns auf die Kannen. Wir wollten eigentlich nach Kitzingen. Dort hatte mein Klassenkamerad einen Pfarrkollegen, mit dem er in Rom zusammen
studiert hatte. Der Milchwagen fuhr aber nach Würzburg, d.h. er sollte, konnte aber nicht, eine Brücke war gesprengt. Also kamen wir doch nach
Kitzingen. Und kaum waren wir drin, wurde Kitzingen hermetisch abgeriegelt: Typhoid - danger. Wir sollten abgeschoben werden, durften aber nicht.
Das war genau was wir wollten.
(Haller's meldeten sich am 22. September 1945 beim Einwohnermeldeamt in Kitzingen an.)
Weshalb wir nicht abgeschoben werden sollten war verzückend lustig. Der Pfarrer hatte uns Untermieträume verschafft. Dort saßen wir 3 Tage. Da kommt ein
deutscher Polizist in Begleitung eines amerikanischen Flugoffiziers zu mir. Er hätte auf dem Einwohnermeldeamt festgestellt, daß ich Maler wäre. Der
Colonel (Oberst des Kampfgeschwaders, das auch Dresden bombadiert hatte) möchte gemalt werden. Ich sagte „Ja“ und bekam die Wohnerlaubnis für Kitzingen,
ferner einen Kommandeurwagen mit eigenem Fahrer, Fahrerlaubnis, überall hin, keine Nachtsperrstunde u.s.w. Als man hörte beziehungsweise feststellen
konnte, dass wir Verfolgte seien, durften wir ins Offizierskasino. (“Ja, wenn alle wären wie Sie” war eine oft gehörte Redensart. Und ”You are not a
right German”)
Der Oberst, den ich malen sollte, hatte nie Zeit. So ließen wir uns spazieren fahren. Bis eines Tages das ganze Geschwader abgezogen wurde. Ich durfte aber
als Art-Instructor bei der Truppe bleiben. Es war inzwischen auf dem Flughafen ein Education Center für Offiziere und Soldaten eingerichtet worden. Die
Lehrstellen waren nur von Deutschen besetzt, die Offizieren und Mannschaften ihr (amerikanisches) Abitur zu machen helfen sollten. Wir waren vier
Deutsche, ein Oberstudienrat, ein Regierungsrat, ein Jurastudent und ich.
Bei der Truppe gab es viele Analphabeten, meist Neger. Wir haben einem schwarzen Unteroffizier versucht, das Lesen und Schreiben beizubringen, ohne jeden
Erfolg. Ich bedeutete dem Major ich könne ja gar kein Englisch. Oh no - die Deutschen können alles. (Fürstenschüler können angeblich auch
alles.)“
Reiseerlaubnis für Ludwig Haller, um seine Zeichnungen und Gemälde abzuholen, welche Erika Streit bei der Umsiedlung 1943 von der Tschechei in die
Schweiz mitnahm.
Die US Armee war bis 2007 in Kitzingen stationiert. Während Haller’s Zeit in Kitzingen befreundete er sich u.a. mit drei Amerikanischen Soldaten, Dr.
Arnold Mysior, dem Maler George Sanders (Port Colborne) und dessen Freund Peter Streuli.
Arnold Mysior ist 1921 in Danzig geboren, wanderte mit jungen Jahren nach Amerika aus und kam als US Soldat zurück nach Deutschland, wo er in Kitzingen als
Offizier stationiert war. Er und Haller lernten sich 1947 kennen und wurden enge Freunde. Arnold Mysior unterstützte Haller und seine Frau finanziell durch
den Kauf von Bildern. Beide blieben in Kontakt. Arnold Mysior besuchte Haller später im Schloss Weissenstein. Zum Abschied schenkte Haller ihm ein Bild mit
Widmung.
Arnold Mysior war Musiker und Komponist. Er studierte Psychologie und wurde Direktor des psychologischen Services an der Georgetown Universität. Über Arnold
Mysior sollte Haller einen Lehrauftrag an dieser Uni bekommen, wozu es dann aber nicht kam, da Haller gerade zu der Zeit in Gerichtsauseinandersetzungen
gegen den Staat Bayern wegen Entschädigung als beruflich Verfolgter des Nazionalsozialistischen Regimes eingebunden war.
Prof Dr Arnold Mysior widmete Ludwig Haller seine Komposition „Habanera“.
http://arnoldmysior.com/habanera/
George Sanders und der Schweiz-Amerikaner Peter Streuli waren in den Jahren 1958 und 59 beide als US Soldaten ebenfalls in Kitzingen stationiert. George Sanders,
ein Maler, suchte Kontakt zu einem einheimischen Kollegen und wurde mit Haller bekannt gemacht. Beide befreundeten sich, und Sanders als Nichtraucher versorgte
den Kettenraucher Haller mit seiner eigenen Zigaretten-Ration.
Peter Streuli heiratete in der Schweiz und lud Ludwig Haller und seine Frau dazu ein.
Haller wohnte in Kitzingen zunächst in der Wörth Strasse 5, aber sehr früh schon und bis Mai 1970 in der Friedrich Ebert Strasse 4 (bekannt auch als
Bahnhofstrasse) unter dem geräumigen, steilen Dach.
Hallers Frau Liane, die an der Kunstakademie in Dresden Architektur studiert hatte, beschäftigte sich schon in den dreißiger Jahren mit der Anfertigung von
Keramiken, die damals in Dresden zum Teil von der Schweizerin Erika Streit lasiert wurden. Der Verkauf dieser Werke diente in Dresden als auch in Kitzingen
als zusätzliches Einkommen.
In Kitzingen richtete sie sich in einem Nebengebäude eine kleine Töpferwerkstatt ein.
Liane versuchte, solche Keramiken und tönerne Figuren u.a. über die Galerie Karin Hielscher, München, Hofgarten-Arkaden zu verkaufen.
So groß die Wohnung war, so füllte sie sich doch schnell mit den großformatigen Bildern, die Haller in großer Zahl malte. Unter Kunstliebhabern in Kitzingen,
die mit Haller zu tun hatten und dessen Werke schätzten, war auch Oberamtsrichter Gerhard Münzberg.
Wohl durch dessen Initiative kam es dazu, daß Haller schließlich von Graf Dr Karl von Schönborn-Wiesentheid ein neues Domizil im Schloss Weissenstein zu
Pommersfelden angeboten wurde. Wie Münzberg in dem unten stehenden Schreiben erläutert, handelte es sich nicht nur darum, für Haller und seine Frau eine neue
Wohnung mit Atelier zu finden, sondern auch einen Mäzen, der sich nach dem Ableben der erbenlosen Hallers dafür einsetzt, daß Haller’s Oeuvre der Nachwelt
erhalten bleibt.
Im Mai 1970 zog Haller von Kitzingen nach Pommersfelden um.
Haller’s Zeit in Kitzingen war aber zunächst gekennzeichnet von seinem Ringen um Berufung als Professor, um Anerkennung als Akademischer Maler und um eine
staatliche Rente als beruflich Verfolgter des Nationalsozialistischen Regimes.
Ferner beantragte er eine Entschädigung als Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts. Der Antrag des Petitionsausschusses wurde am 16. Juni 1972 dem
Bundestag vorgelegt. Der Ausgang ist unbekannt.
http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/06/035/0603555.pdf
Im Rahmen dieses Ringens ersuchte Haller Bestätigungsschreiben, Ehrenerklärungen und Gutachten von ehemaligen Kollegen aus der Dresdner Zeit, von der
Hochschule für Bildende Künste und anderen Institutionen und Personen.